"Jeder Mensch bekommt zu seiner Geburt die Welt geschenkt. Die ganze Welt. Aber die meisten von uns haben noch nicht einmal das Geschenkband berührt, geschweige denn hineingeschaut."

Dienstag, 25. April 2023

Kanada - mit dem Zug durch´s Land

Nachdem ich meine Lungenentzündung halbwegs kuriert hatte, machte ich mich mit einer Mitfahrgelegenheit auf nach Toronto, um von dort ins nächste große Abenteuer zu starten: Mit dem Zug nach Jasper in die Rocky Mountains!  

Diese Vorstellung faszinierte mich irgendwie sofort, als ich von der dreitägigen Zugreise erfahren hab. Die Preise sind teurer, als Flüge. Aber die Art des Reisens ist nicht zu vergleichen. Ich liebe es, langsam zu reisen, wenn ich die Zeit dazu habe. Das verschafft mir auch die Möglichkeit, das Erlebte der vergangenen Wochen zu verarbeiten und mich gedanklich auf das Kommende vorzubereiten. 

Ich hatte diese Idee schon etwas länger im Auge und schaute deshalb immer mal wieder nach Sonderangeboten. Denn die normale Zugfahrt in der Economyclass ohne Schlafmöglichkeit und Verpflegung kam allein schon an die 500 CAD. Ich hatte einen Super Saver Deal von Via Rail ergattert. Bei dem habe ich in der günstigsten Schlafoption (oberes Doppelstockbett, "upper berth" genannt) inklusive Vollverpflegung 669,53 Dollar inkl. Steuern gezahlt. Nicht gerade günstig. Aber für drei Übernachtungen und drei Mahlzeiten pro Tag zahle ich gern die kleine Differenz zur Economy mehr. Das war es mir wert.  

Ohne den speziellen Deal hätte exakt die gleiche Zugreise in der "upper berth"-Kategorie um die 1200 Dollar gekostet. Das muss man sich mal überlegen :D Der Zug fährt diese Strecke übrigens nur zwei Mal pro Woche. Trotz der recht happigen Preise ist diese Zugreise aber sehr beliebt und deshalb auch ab Frühling sehr schnell ausgebucht. Genau wie in Deutschland gilt auch in Kanada: wer früher bucht, spart gut Geld! [übrigens auch, wer an einem Dienstag bucht]. 

Ich schlief die Nacht vor der Abreise bei Shamil, einem Couchsurfinghost, bei dem ich bereits im Dezember unterkam. Der hatte tatsächlich auch meine deutsche Zahnpasta aufgehoben, die ich bei ihm vergessen hatte. Dabei war bei dem Zeitpunkt nicht mal klar, dass wir uns wiedersehen würden. Witzig! 

Mein Zugabenteuer startete am 19. April 9.50 Uhr. 




Als Gast der gehobenen Klasse konnte ich mich vor der Abfahrt in der Lounge aufhalten, in der es verschiedene gratis Heißgetränke sowie Softdrinks gab. Auch Snacks und Lesematerial gab es kostenlos. Ich hatte mich natürlich darüber vorab informiert und nutzte die Zeit, um hier quasi zu frühstücken :D Außerdem nahm ich noch ein paar Kleinigkeiten mit in den Zug, ich wusste ja nicht genau, was für Mahlzeiten mich erwarten würden.                 

                       

Das Gepäck wurde separat eingecheckt. Die Reisenden liefen dann geschlossen zum Bahnsteig, wo ein Angestellter noch einmal das Ticket checkte und eine gute Reise wünschte. Im Zug gab es eine Begrüßung mit Häppchen und Sekt, auch wurden wir über die Abläufe aufgeklärt. Ich lernte meine Abteilskollegen kennen und erfuhr, dass ich Glück hatte und die Kabine unter mir unbesetzt bliebe, weshalb ich diese beziehen dürfte. Vorteil war, dass ich somit nichts nachts und morgens kraxeln musste und außerdem, dass diese im Vergleich zur oberen Ebene ein Fenster (mit Rollo) hat. 

                                     

Im Vergleich zu den Kabinen, die man buchen kann, ist die einzige Privatsphäre, die man im "upper and lower berth" hat, durch fette Vorhänge gegeben, die mit einem Klettverschluss schließen. Allerdings isoliert das nicht von einer möglichen Geräuschekulisse im Waggon. Dieser ist übrigens auch für alle Passagiere jederzeit begehbar. Wenn also jemand nachts schlafwandeln sollte, werde ich es ggf. hören. Handtücher und Duschartikel werden gestellt. Das Bett wird von einem Angestellten jeden Tag auf´s Neue hergerichtet, denn tagsüber wird aus dem Bett ein Sitzabteil. 

aus den Sitzen...
...wird ein Bett 






Eine Dusche war vorhanden sowie mehrere Toiletten. Diese waren erstaunlich sauber und geräumig. Der Zug fuhr mit einer kurzen Verzögerung ab. Das Abenteuer begann. 


Was man in der Sleeper Plus Class bei Via Rail Canada geboten bekommt (oder auch nicht):


Highlight: Panorama-Wagen

Unser Zug umfasste 18 Waggons (davon zwei Panoramawagen) und zwei Speisewagen. Im vorderen Teil war die Economy mit zwei Personen-Waggons sowie einem Panoramawagen, danach folge die  Sleeper Plus Class (ebenfalls mit einem Panoramawagen und einem Restaurantabteil) und ganz am Ende die Prestige Klasse (Panoramawagen und Lounge-Wagen). Als Sleeper Plus und Prestige hatte man Zugang zu allen Bereichen, die Leute der Economy mussten im vorderen Zugabteil bleiben. 190 Passagiere befanden sich zu Beginn der Reise im Zug. Einige hatten kürzere Strecken rausgesucht, andere fuhren bis nach Vancouver durch. Die landschaftlich schönste Strecke ist sicher von Edmonton/ Jasper nach Vancouver, weil man hier durch die Rocky Mountains fährt.

Blick in eine Einzelkabine 
 
zum Vergleich die Economy


Speisewagen


Es gab drei feste Mahlzeiten am Tag: 

Frühstück von 06.30-08.30 Uhr, Mittag entweder um 11.30 oder 13.00 Uhr und Abendessen entweder 17.30 oder 19.00 Uhr (man musste sich jeweils am Vortag anmelden). Die Mahlzeiten wurden in Etappen serviert, da es je Klasse nur einen Restaurantwagen gab und die Leute ja aber alle essen sollten und wollten ;) 

Es gab immer mehrere Optionen zur Auswahl: süß oder deftiges Frühstück, vegetarisch oder fleischig zu Mittag oder Abend. Dazu meist noch ein Dessert/Kuchen. Wer nicht satt war, konnte sich Obst oder Kekse als Snack nehmen sowie Wasser und Kaffee/ Tee als Getränke. Das Essen war echt lecker, besser, als ich es erwartet hatte. Und das, obwohl ich vorab schon viele positive Bewertungen online gelesen hab. Aber ich bin eine kleine Mäkeltante und selbst ich war zufrieden :) Das Einzige, was ich zu bemängeln hätte, wäre, dass einmal mein Wunschgericht bereits vergriffen war und das, was ich dann gewählt hatte, leider so gar nicht meinen Vorstellungen entsprach...Auch wird man wahllos mit anderen Leuten an die Tischen gesetzt, damit hatte ich allerdings nie Probleme. Meinem Wunsch in Fahrtrichtung (und bestenfalls am Fenster) zu sitzen wurde auch fast immer nachgegangen. 



















Neben dem Essen gab es auch eine tägliche Aktivität: von Trivia über Landesinformation oder Weinverkostung - die Touris wurden bei Laune gehalten. Man kommt sonst aber auch sehr schnell mit anderen Reisenden ins Gespräch. Ich hatte einen passionierten Zugexperten in meinem Abteil, der recht viele interessante Infos lieferte. Erstaunlicherweise waren nicht viele Passagiere ausländische Touristen. Ich lernte viele ältere Kanadier kennen, deren Traum es schon immer war, diese Reise zu machen. Bei den Preisen verstehe ich, warum man das nicht schon viel eher macht. 

Neben dem Zugexperten und einer Frau, die nur mit einer Hand häkelte (da sie nur noch eine besaß), lernte ich Oceané kennen. Sie ist Mitte zwanzig, Französin, macht ebenfalls ein Work and Travel in Kanada und im Gegensatz zu mir bereist sie Kanada erst um im Anschluss an dem für sie schönsten Ort eine Arbeit zu suchen. Auch ein guter Ansatz :) Wir verstanden uns auf Anhieb und so wurde es nie langweilig. 

wechselnde Landschaften 
es liegt sogar noch Schnee 

Der Zug hält diverse Male an unterschiedlichen Bahnhöfen. Mal ist nur Zeit, sich die Beine zu vertreten, mal steht man etwas länger und kann die jeweilige Stadt kurz besichtigen. 

Was man vergeblich im Zug sucht, ist WIFI. Ich hingegen fand das eigentlich ganz gut ;). Weniger praktisch ist, dass es keinen Stromzugang am Schlafplatz gibt. Man muss sich also die wenigen verfügbaren Steckdosen im Aufenthaltsraum oder in den Toiletten mit allen anderen Passagieren teilen. Ansonsten war das Bett recht komfortabel. Etwas, das ich unterschätzt hatte, waren die doch recht ruckeligen Bewegungen des Zuges -  auch während der Nacht. Aber die vielen (positiven) Eindrücke des ersten Tages ließen mich schnell einschlafen. 


06.30 Uhr waren alle wach. 



Inklusive mir. Aber nicht, weil ich es mir so ausgesucht habe, sondern eher, weil ich durch die Geräusche der anderen Gäste wach wurde. Wir sind in der Nacht in eine andere Zeitzone gewechselt, wurden darüber jedoch schon am Vortag informiert. 

Man ist sich am zweiten Reisetag bereits so vertraut, dass man andere Gäste durchaus auch noch im Schlafanzug an Gemeinschaftsplätzen antrifft. Wer denkt, dass ein Toilettengang bei einem fahrenden Zug eine Herausforderung ist, der sollte in diesem mal duschen gehen :D Ich fand´s witzig und hatte recht Glück, nicht lange auf die freie Dusche warten zu müssen. Im Anschluss ging es zum ersten Frühstück der Reise. Ich entschied mich für Rührei und Speck. 

Lieblingsplatz
Wir durchfahren Ontario mit seinen 250.000 Seen. Das Frischwasservorkommen dieser deckt ein Fünftel der gesamten Welt ab. Ich sichere mir einen Platz in meinem liebsten Abteil: dem Panoramawagen. Durch die erhobene Lage und den 180 Grad Dach-Fenstern hat man hier den ultimativ besten (Über-)Blick. 
                           
                                              


Leider sind die Scheiben des Panoramawagens recht dreckig, weshalb Panoramafotos zur Herausforderung werden. Wir werden langsamer. Ein Güterzug fährt vor uns ein und diese haben immer Vorrang vor Personenzügen. Hintergrund ist, dass CN, die Canadian National Railway Company das ganze Streckennetzwerk besitzt und Via Rail quasi nur Nutzer ist. Deshalb darf die CN auch entscheiden, wer zuerst fährt. 


Wir halten in Winnipeg, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitobas. Hier sind Winterreifen bis Mai vorgeschrieben, können die Temperaturen hier im Winter easy unter 20 Grad fallen und das für eine ganze Weile...  Oceané und ich schauen uns kurz die Stadt am Abend an aber durch die Kombination von Schnee und Wind zieht es uns schnell wieder in den warmen Zug. Trotzdem war es mal ganz nett, sich die Beine zu vertreten. 

"The forks" in Winnipeg


Ich kam mit einer Zugangestellten ins Gespräch. Ich fragte natürlich so ziemlich alles, was mich interessierte. Unter anderem, ob ich als mit einem Working Holiday Visum ebenfalls für Via Rail anfangen könnte. Denn solch ein Job kann ich mir auch ziemlich gut vorstellen: Kost und Logis frei, guter Verdienst, cooles Arbeitsumfeld. Kann ich aber leider nicht. Man müsste mindestens den Status eines permanent residents haben, um sich auf eine Stelle zu bewerben. Dann doch etwas anderes...

Apropos vertreten: Wir haben natürlich auch mal die Prestige Klasse abgecheckt. Hier kostet die gleiche Verbindung (Toronto-Jasper, zwei Tage und 20h Reise) um die 10.000 CAD. Deren Lounge war schon sehr stylisch und die Sitze des Panoramawagens bequemer. ABER: Auch sie hatten die gleichen Snacks und ebenfalls kein WIFI. Sind eine geräumigere Kabine mit TV, Toilette und breiterem Bett sowie ein Concierge-Service inkl. Alkohol den Aufpreis wert? Ich habe weiger Geld für meine zehnmonatige Weltreise 2013/14 ausgegeben! :D Und tatsächlich war aber auch diese Klasse ausgebucht. Ich hatte nämlich das Zugpersonal gefragt, ob es mal möglich wäre, in solch ein Zimmer zu lunschen (ostmitteldeutsch für: heimlich nach etwas schauen). War es leider nicht. Deshalb hier Beispielbilder aus dem Internet: 

Aus der Couch...
...wird ein Bett. Quelle: https://canadarail.ca/via-railway-train/prestige-cabin-for-two/


Toilette der Prestige Class 
 
Es hat übrigens ein paar Minuten gedauert, um zügig von der Prestige Klasse zurück zu meinem Platz zu laufen.


kein Zugende in Sicht 

Neben ganz vielen Fotos, Videos und Gesprächen habe ich die Zeit eigentlich hauptsächlich damit verbracht, aus dem Fenster zu schauen. Einfach die Landschaft an mir vorbeiziehen lassen, die Gedanken abschweifend. Ehrlicherweise war die Landschaft wenig spektakulär, aber darauf war ich schon durch meine Vorabrecherche vorbereitet. Hat das Reiseerlebnis aber nicht geschmälert. Nachts im Bett habe ich dann immer noch aus dem Fenster geschaut und hatte tatsächlich einen Abend das Glück den Sternenhimmel zu sehen. Ich lag im warmen und recht bequemen wackelnden Bett und habe die Sterne beobachten können. Ich habe die Entscheidung, mit dem Zug zu reisen, in keiner Minute bereut. 


Irgendwo im Nirgendwo
Insgesamt haben wir eine Strecke von 3615 Kilometern in zwei Tagen und 20 Stunden zurückgelegt. 
Ich hatte gehofft, dass wir verspätet in Jasper ankommen. Das ist nämlich gar nicht so unwahrscheinlich. Mit einer geplanten Ankunftszeit von 06:30 Uhr Ortszeit wäre es noch nicht wirklich hell genug, um die Berge und Landschaft zu sehen. Außerdem auch eine echt unbequeme Ankunftszeit. 











Tatsächlich hatte wir eine dezente Verspätung von etwa 40 Minuten. Gut für mich, weniger gut, um meinen Couchsurfinggastgeber persönlich zu treffen, der musste nämlich 7.15 Uhr zur Arbeit. Nett und vertrauenswürdig, wie die Kanadier sind, hat er mir den Haustürschlüssel versteckt. Mit der Ankunft in Jasper endete meine Zugreise. Sie kam mir irgendwie viel länger vor und dann doch wieder nicht. Aber sie war schön, sehr schön. Und jetzt kann ich auch die Faszination dahinter verstehen. 


Ein schöner erster Eindruck von Jasper!